Warum jede Handlung eine Wette ist
Angenommen, Sie möchten einen kurzen Spaziergang machen und nehmen sowohl Ihre Sonnenbrille als auch Ihren Regenschirm mit. Glauben Sie, dass es regnen wird?
- Offensichtlich sind Sie sich nicht sicher, dass es regnen wird – weshalb sollten Sie sonst Ihre Sonnenbrille mitnehmen?
- Gleichzeitig sind Sie sich aber auch nicht sicher, dass es nicht regnen wird – sonst hätten Sie den Regenschirm zuhause gelassen.
In solchen Fällen sind wir versucht zu sagen, dass die Aussage „Es wird regnen“ mit einem bestimmten Überzeugungs- oder Glaubensgrad für wahr gehalten wird. Dieser kann mit einer Zahl zwischen 0 und 1 dargestellt werden: Wären Sie sich sicher, dass es regnen wird, wäre Ihr Glaubenswert 1. Wären Sie sich hingegen sicher, dass es nicht regnen wird, wäre Ihr Glaubensgrad 0.
Wenn wir einer Aussage auf diese Weise eine Zahl zwischen 0 und 1 zuordnen, teilen wir ihr eine bestimmte Wahrscheinlichkeit zu. Das kann zwei verschiedene Dinge heissen: Entweder wir fassen solche Wahrscheinlichkeitszuordnungen als Informationen über subjektive Wahrscheinlichkeiten auf, welche uns sagen, in welchem Grad jemand das Eintreten eines Ereignisses erwartet; oder wir fassen sie als Informationen über objektive Wahrscheinlichkeiten auf, welche die realen Tendenzen messen, mit denen Ereignisse eintreten.
Im obigen Regenbeispiel bezieht sich die Zahl zwischen 0 und 1 auf Ihren Glaubensgrad. Es geht also um die subjektive Wahrscheinlichkeit – darum, für wie wahrscheinlich Sie einen baldigen Regenschauer halten.
Solche Glaubensgrade manifestieren sich in unserem Handeln, wie das Beispiel mit der Sonnenbrille und dem Regenschirm zeigt. Generell gilt: Je höher der Glaubensgrad, mit dem jemand eine Aussage p für wahr hält, desto eher wird sich diese Person für Handlungen entscheiden, die im Fall von p angenehme Konsequenzen haben. Man kann sich diese Verknüpfung zwischen Glaubensgraden und Entscheidungen als eine Art Wette vorstellen. Denken wir uns irgendeinen Satz p; wie viel würden wir maximal für eine Wette zahlen, die uns 1 Franken einbringt, wenn p der Fall ist?
Dazu ein Beispiel: Wie viel würden wir maximal setzen, um 1 Franken zu gewinnen, falls der Chef morgen eine blaue Krawatte trägt? Der Bruchteil eines Frankens, den wir zu setzen bereit wären, ist ein plausibler Richtwert für unseren Glaubensgrad, dass p zutrifft– also in diesem Fall, dass der Chef morgen eine blaue Krawatte trägt. Bei einem Glaubensgrad von 0.5 heisst das, dass wir mit einer Wahrscheinlichkeit von 0.5 siegreich mit 1 Franken davonziehen, und mit einer Wahrscheinlichkeit von 0.5 leer ausgehen. Weil wir die Hälfte der Zeit verlieren, sollte uns diese Wette nicht mehr als 50 Rappen wert sein (0.5 mal 1 Franken = 50 Rappen). Der Erwartungswert dieser Wette beträgt somit 50 Rappen. Bezahlen Sie weniger als 50 Rappen dafür, dürfen Sie vernünftigerweise mit Gewinn rechnen; bei 50 Rappen erwarten Sie, gerade noch Ihre Kosten zu decken; und bei mehr als 50 Rappen müssen Sie sich auf Verlust gefasst machen.
Anders sieht die Lage aus, wenn Ihr Glaubensgrad, dass der Chef morgen eine blaue Krawatte trägt, bei nur 0.1 liegt: Sie werden dann mit einer Wahrscheinlichkeit von 0.1 1 Franken davontragen, aber mit einer Wahrscheinlichkeit von 0.9 leer ausgehen. Der Erwartungswert dieser Wette beträgt demnach nur 10 Rappen (0.1 mal 1 Franken = 10 Rappen), und deshalb sollte sie Ihnen auch nur maximal soviel wert sein.
Manche Menschen halten nicht viel von Glücksspielen. Doch in einem bestimmten Sinn kann jede Handlung als Wette verstanden werden – life is about betting. Wenn ich die Strasse überquere, ist mein Glaubensgrad, dass ich die andere Seite erreichen werde (ein gutes Ergebnis), sehr viel höher als mein Glaubensgrad, dass ich überfahren werde (kein gutes Ergebnis). Zwar sind die Kosten des Überfahrenwerdens ungleich viel höher als der Nutzen des Strassenüberquerens; aber weil diese Ergebnisse mit der subjektiven Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens gewichtet werden, erwarte ich vom Überqueren der Strasse Gewinn: Ich wette, dass es sich lohnt.
Jemand entscheidet sich für eine Handlung, weil der erwartete Nutzen (expected utility) dieser Handlung grösser ist als jener der verfügbaren Alternativen. Die Idee ist, dass der Handelnde auf bestimmte Ergebnisse aus ist (das Erreichen der anderen Strassenseite, überfahren werden), deren Wichtigkeit mit einem positiven oder negativen Wert beziffert werden können – dem Nutzen (utility). Und der erwartete Nutzen einer Handlung ist die Summe der jeweiligen Nutzen (utilities) multipliziert mit dem Glaubensgrad des Handelnden, dass die jeweilige Handlung zum jeweiligen Ergebnis führt. In einer Welt, in der wir nur unvollständige Informationen über die Konsequenzen unserer Handlungen haben, können wir nur wetten. Living is acting and acting is betting.