Intellektuelle Hipster
Ein Hipster ist eine Person, die – darum bestrebt, cooler zu wirken als der Mainstream –absichtlich einen unpopulären, veralteten oder obskuren Kleiderstil pflegt. Doch weshalb soll es cooler sein, bewusst uncool zu sein, als einfach nur cool zu sein?
In gewissen Situationen kann die Verweigerung einer Signalisierung selbst ein Signal eines hohen Status sein. Der Soziologe Thorstein Veblen führte den Begriff des „demonstrativen Verbrauchs“ ein, um das auffallende Konsumverhalten der Neureichen zu beschreiben. Die Neureichen müssen im Gegensatz zur bereits etablierten Oberschicht ihren Reichtum signalisieren, indem sie viel Geld für Autos, Kleidung und Schmuck ausgeben. Weshalb findet sich ein derart auffälliger Glanz insbesondere unter Neureichen, jedoch nicht unter den Etablierten? Weil diese sich ihrer Position so sicher sein können, dass sie gar nicht auf die Idee kämen, irgendjemand könnte sie mit armen Leuten verwechseln. Die Neureichen haben jedoch keinen artistokratischen Hintergrund. Sie sind deshalb besorgt darüber, mit der Unterschicht verwechselt zu werden, wenn sie es nicht offensichtlich machten, dass sie teure Dinge besitzen.
Die etablierte Oberschicht kauft vermutlich aus pragmatischen Gründen keine auffälligen Dinge – sie benötigt sie nicht, weshalb also Geld verschwenden? Doch wenn F. Scott Fitzgerald recht hat, dann haben die Etablierten ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber den Neureichen und ihrem demonstrativen Konsum aktiv kultiviert. Keine protzigen Objekte zu kaufen wird so zu einer Prinzipienfrage. Das macht Sinn: Die Neureichen wollen sich von der Unterschicht und die Etablierten von den Neureichen abgrenzen.
Dieses Phänomen nennt man Gegensignalisierung und man findet seine Muster in vielen Lebensbereichen. Diejenigen, die sich mit romantischer Anziehung beschäftigen, warnen Männer, sich nicht zu schnell und direkt einer Frau zu nähern. Das hat Gemeinsamkeiten mit dem Beispiel der Neureichen: Ein totaler Versager würde sich ohne einen Anschein von Romantik an eine Frau heranmachen, ihr nichts versprechen und direkt Sex verlangen. Ein kultivierterer Mann würde einer Frau vielleicht Rosen kaufen, ihr Liebesgedichte schreiben und ihr jeden Wunsch erfüllen. Damit signalisiert er, dass er kein totaler Versager ist. Die begehrtesten Männer hingegen würden es bewusst vermeiden, sich für eine Frau zu bemühen. Sie signalisieren damit, dass sie das nicht nötig haben, weil sie einen so hohen Status haben. Der durchschnittliche Mann versucht sich vom totalen Versager dadurch abzugrenzen, dass er nett ist. Der sehr attraktive Mann versucht sich vom durchschnittlichen Mann abzugrenzen, indem er nicht besonders nett ist.
In allen drei Beispielen zeigen die Personen, die auf der Pyramide zuoberst oder zuunterst stehen, ähnliche Merkmale. Hipster tragen bewusst die gleichen Kleider wie die Uncoolen. Die etablierte Oberschicht trägt ähnlich wenig Schmuck wie die Unterschicht. Und die begehrtesten Männer gehen auf Frauen mit ebenso wenig Feinfühligkeit zu wie totale Versager.
Wenn es in Politik, Philosophie und Religion auch um Signalisierung geht, sollten wir hier ähnliche Muster von Gegensignalen finden.
Klugheit vorspielen
Wenn wir ein 5-jähriges Kind dazu befragen, wird es uns sagen, dass der Tod schlecht sei. Der Tod ist schlecht, weil er praktisch immer mit Leid verbunden ist und Präferenzen zuwiderläuft. Es gibt wenig Subtiles über den Tod zu sagen. Er scheint auf den ersten Blick allgemein für jedermann schlecht. Doch neben den grossen Nachteilen, die er mit sich bringt, hat er auch ein paar Vorzüge. Er verringert die Überbevölkerung, ermöglicht es der neuen Generation, sich von frei von der Einmischung der Älteren zu entwickeln und motiviert dazu, im Leben nicht unnötig Zeit zu verlieren. Und gerade weil diese Vorteile viel kleiner sind als die Kosten, erkennen sie nicht alle. Jeder Dummkopf kann uns sagen, weshalb der Tod schlecht ist, doch nur ein besonders einfallsreicher Dummkopf kommt auf die Idee, dass er vielleicht gut ist.
Auf die gegensätzliche Position hinzuweisen, dass der Tod einige Vorteile hat, ist deshalb potentiell ein Signal von hoher Intelligenz. Es ist zwar kein besonders zuverlässiges Signal –denn sobald es jemand erwähnt hat, kann es von allen kopiert werden – doch es ist ein billiges Signal. Und einer Person, die vielleicht nicht clever genug ist, sich die Vorteile des Todes selbst auszudenken, und nur bemerkt, dass kluge Leute dies offenbar behaupten, scheint es vielleicht superklug, zu sagen, dass der Tod eine Menge Vorteile hat und wirklich eine ziemlich gute Sache ist. Und wenn andere Leute einwenden, dass der Tod schlecht ist, nun, das ist eine Meinung, die sich ein 5-jähriges Kind ausdenken kann. Deshalb ist diese Person offensichtlich nicht klüger als ein 5-jähriges Kind.
Wenn man nicht auf die Vorteile einer sehr schlechten Sache eingehen will, kann man seine Klugheit auch vortäuschen, indem man auf die Nachteile einer sehr guten Sache hinweist. Alles in allem ist die moderene Industriegesellschaft – mit ihrer forschrittlichen Technologie und Medizin – eine ziemlich gute Sache. Doch sie hat auch viele Nachteile: Entfremdung von der Natur, Anonymität des Grossstadtlebens, Umweltverschmutzung und Überbevölkerung. Dies sind echte Nachteile, die ernst genommen werden sollten.
Nichtsdestotrotz: Die grosse Anzahl von Migranten, die versuchen, von der Dritten Welt in die Erste zu gelangen, und der Umstand, dass keine Migration in die umgekehrte Richtung stattfindet, legt nahe, dass die Vorteile überwiegen. Aber es scheint, dass die Leute lieber auf den negativen Aspekten unseres Lebensstandards herumreiten. Die meisten Leute, die von einer Reise aus einem Drittweltland zurückkehren, erzählen, wie viel authentischer der Lebensstil dort sei und wie viel wir von den Menschen dort lernen könnten. So zu reden, klingt klug. Aber es tönt trivial und egoistisch, zu bemerken, wie angenehm es ist, Busse zu haben, die nicht nach jedem halben Kilometer eine Panne haben.
Deshalb ist meine Hypothese: Wenn in einer Angelegenheit eine Seite die besseren Argumente hat und die andere Seite sich auf viel subtilere Punkte stützt, welche die Durchschnittsperson vielleicht nicht versteht, dann wird es zu einem Zeichen von Intelligenz, diese Seite zu vertreten, selbst wenn ihre Argumente falsch sind.
Dies funktioniert jedoch nur bei Problemen, die von Anfang an so verworren sind, dass es keine eindeutige Lösung gibt. Es versucht also niemand dadurch Intelligenz zu signalisieren, dass er sagt: 1+1=3.
Intellektuelle Hipster vertreten die Meta-Gegenposition
Eine Person, die einigermassen vornehm ist, wird ihren Reichtum auffallend signalisieren, indem sie Dinge kauft, die schwer zu erwerben sind. Eine Person, die sehr vornehm ist, wird auffallend signalisieren, dass sie es nicht nötig hat, auffallend ihren Reichtum zu signalisieren, indem sie bewusst keine solchen Dinge kauft.
Eine Person, die einigermassen intelligent ist, wird ihre Intelligenz auffallend signalisieren, indem sie Meinungen vertritt, die schwer zu verstehen sind. Eine Person, die sehr intelligent ist, wird auffallend signalisieren, dass sie es nicht nötig hat, auffallend ihre Intelligenz zu signalisieren, indem sie Meinungen vertritt, die allgemein verständlich sind.
Sehr intelligente Leute sind eher geneigt, zu sagen, dass der Tod schlecht ist und dass es keinen philosophischen Grund gibt, anzunehmen, dass 1+1=3. Sie haben einen Punkt erreicht, ab dem sie es nicht mehr für nötig halten, sich von den Leuten abzugrenzen, die nicht klug genug sind, um zu verstehen, dass der Tod auch Vorteile hat.
Stattdessen sind die sehr intelligenten Leute auf einer Ebene, auf der sie sich von den einigermassen klugen Leuten, welche als Nonkonformisten die Vorteile des Todes für gut halten, abgrenzen wollen. Sie sind Meta-Nonkonformisten und intellektuelle Hipster. Sie geben also ein Gegensignal gegen die einigermassen intelligenten Leute, indem sie Positionen vertreten, die diesen widersprechen. Und im Falle des Todes kann das nur eine gute Sache sein.
Doch genauso wie ein Nonkonformist kann auch ein Meta-Nonkonformist falsch liegen. Eine naive Person denkt vielleicht, dass die industrielle Produktion eine absolut gute Sache ist. Wer klüger ist als die naive Person erkennt vielleicht, dass die Klimaerwärmung ein grosser Nachteil der industriellen Produktion ist und dringend gestoppt werden muss. Wer noch klüger ist, entscheidet vielleicht, dass die Klimaerwärmung kein grosses Problem ist, nicht vom Mensch verursacht wurde oder nicht existiert. In diesem Fall ist vermutlich die erste Gegenposition korrekt und der intellektuelle Hipster hat sich von der Wahrheit entfernt.
Tatsächlich ist die naive Position des 5-jährigen Kindes oft fehlerhaft und die erste Gegenposition eine notwendige Korrektur dieser Fehler. Dies macht Meta-Gegenpositionen zu einer sehr gefährlichen Sache.
Ohne etwas darüber aussagen zu wollen, ob irgendeine dieser Positionen korrekt ist oder nicht, unterscheiden folgende Triaden zwischen naiver Einstellung – Konformismus – Meta-Nonkonformismus:
- „Ich bin gläubig.“ – „Ich bin Atheist.“ – „Der Atheismus ist auch ein Glaube.“
- „Schwarze sind minderwertig.“ – „Ich bin Anti-Rassist.“ – „Es gibt wissenschaftlich bewiesene genetische Unterschiede.“
- „Frauen sind minderwertig.“ – „Ich setze mich für Gleichberechtigung ein.“ – „Männer werden diskriminiert.“
- „Ich kümmere mich nicht um Armut.“ – „Ich spende.“ – „Spenden schadet.“
Das Interessante an diesen Triaden ist, dass Leute tiefe persönliche Befriedigung empfinden, ihre Position zu verteidigen, auch wenn ihre Argumente politisch nichts ändern.
Falls wir bei uns eine Tendenz zum Meta-Nonkonformismus erkennen, bedeutet es nicht, dass wir die damit verbundenen Ansichten sofort aufgeben sollten. Wir sollten dann aber besonders misstrauisch sein gegenüber unserem Wunsch, etwas zu glauben, das der vorherrschenden nonkonformistischen Position widerspricht, vor allem, wenn wir dies wirklich gerne tun. Es könnte ein Bias sein.
Welche Position wir vertreten, sollte nicht davon abhängen, welche Stellung sie in der Pyramide bzw. der Triade einnimmt, sondern davon, ob sie rational ist. Es ist also nicht per se gut, ein intellektueller Hipster zu sein.
Yvain (2010). Intellectual Hipsters and Meta-Contrarianism. LessWrong (30.1.2013)